Edwin Kratschmer: Kunst im Clinch.
Bildende Kunst in der DDR zwischen Apologetik und Selbstbehauptung.
Ein Abriss.
edition mk, 2003, 52 Seiten
In Anlehnung an Peter Sloterdijks Blasen-und-Sphären-Theorie könnte man die DDR als künstlich befruchtetes, aber schließlich doch misslungenes uterales "Fruchtblasenparadies" bezeichnen, das am Osttropf hing. Sphärische Einflüsse im Sinne Sloterdijks wurden – soweit das ging – unterbunden. Und siehe da: als nach 40-jähriger Zwangsschwangerschaft endlich Ent-Bindung möglich war, hatte sich ein ganz eigenartiges Gebilde entwickelt.
Wohl auch deshalb heißt über Kunst in der DDR reden: in eine Blase stechen. Da entweichen strömend Emotionen und Aggressionen. Man könnte sich freilich retten, indem man als Überflieger per Hochglanzfotos ein attraktives Sightseeing illusionierte. Aber das bedeutete Planierung aller Unebenheiten. –
Aber woran kann man sich orientieren und objektive Wertung nachholen, bestand die DDR doch – trotz aller inzestiösen Vereinnahmungen – aus Millionen separat gelebten Schicksalen mit äußerst divergierenden Erfahrungen vom Alt-Funktionär bis zum "glücklichen Sklaven" und zum als subversiver "Assi" diffamierten Anti.
Im Allgemeinen kann wohl auch für Künstler gelten, was das Milgram-Experiment zutage gefördert hat: Jegliche Population bestehe zu je nahezu gleichen Teilen aus [1] Angepassten, [2] kritisch Angepassten und [3] Unangepassten.
Kratschmer periodisiert die Kunstentwicklung in der DDR etwa nach folgendem System, das vorwiegend durch Parteitage, Plenen oder politische Ereignisse bestimmt wurde:
- "Auferstanden aus Ruinen" oder Der abrupte, opulente demokratische Aufbruch nach dem 2. Weltkrieg
- "Kunst ist Waffe im Klassenkampf" oder Die stringente stalinistische Phase in den 50er-Jahren
- Bitterfeld: Knebel und Klistier
- "Kahlschlag" oder Der gebremste Aufbruch in den Sechzigern
- Parole "Weite und Vielfalt" oder Die Unruhe in den Siebzigern
- Der Anfang vom Ende oder Die Strangulation nach der Biermann-Affäre
- "Der Vergnügungsdampfer sinkt" oder Die Absage in den Achtzigern
- "Ich Apokalyptus" oder Apokalyptik und Verweigerung
- "Gesellschaft im Giftbad" oder Glasnost und Destruktion in den Endachtzigern
s. auch Edwin Kratschmer: Kunst im Clinch.
Bildende Kunst in der DDR zwischen Apologetik und Selbstbehauptung.
Ein Abriss mit 14 Exkursen. In: Michael Berg u. a. (Hg.): Die unerträgliche Leichtigkeit der Kunst. Ästhetisches und politisches Handeln in der DDR.
Köln/Weimar/Wien, 2007, S. 77-104. ISBN 978-3-412-00906-9
Weitere Veröffentlichungen von Edwin Kratschmer u. a. zu Altenbourg, Appelt, Bätz, Bauer-Pezellen, Berger, Dietzsch, Enke, Franke, Gode, Hammer, Hattop, Heisig, Herzog, Hirsch, Hopfe, Jährling, John, Jüttner, Ketscher, Kettner, Kirchner, Klemke, Knöpfer, Körber, Kraft, Kühn, Kuhrt, Kukowski, Lindner, Mahler, Marlier, Mattheuer, Mattheuer-Neustädt, Meyer, Mörstedt, Müller, Müller-Jontschewa, Münzner, Olsen, Ortelt, Paetz, Pesl, Priebe, Raecke, Scharr, Schüler, Schumacher, Schwarz, Sylvester, Zitzmann.